Etablierung von Streuobstbäumen: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 3. November 2025, 16:25 Uhr
Etablierung von Streuobstbäumen
Die Etablierungsphase, insbesondere die ersten vier Jahre nach der Pflanzung am Zielort, ist entscheidend für das spätere Wachstum und die Vitalität der Bäume. In dieser Zeit wird das Fundament für die Entwicklung langlebiger Bäume gelegt, die 100 – 150 Jahre alt werden können. Viele Publikationen betonen die Bedeutung optimaler Bedingungen für junge Obstbäume und liefern ausführliche praktische Anleitungen dazu (bspw. 1; 2; 3). Wachstumsdefizite in den ersten Jahren lassen sich später kaum ausgleichen. Ziel ist daher, den jungen Bäumen bestmögliche Startbedingungen zu bieten – sowohl durch hochwertiges, standort- angepasstes Pflanzgut als auch durch Verfahren, die eine stabile Wurzelentwicklung und Standortanpassung fördern.
Qualität des Pflanzguts
Ein bedeutender Aspekt ist die Qualität des Pflanzguts. Bis ein Obstbaum in den Verkauf kommt, bedarf es vieler Arbeitsschritte, welche von unterschiedlichen Akteuren übernommen werden. Innerhalb dieser Arbeitsschritte ist die Unterlagenproduktion ein kritischer Punkt. Derzeit dominieren standardisierte, mehrfach verschulte Unterlagen, deren Wurzelsysteme durch wiederholtes Umsetzen und maschinelle Ernteverfahren erheblich beeinträchtigt werden. Die Folge ist eine eingeschränkte vertikale Wurzelentwicklung. Ein Anschluss an tieferliegende, wasserführende Bodenschichten wird verhindert, was zu Wasserstress in Trockenphasen führen kann. Auch Containerware zeigt strukturelle Defizite im Wurzelaufbau: Hier wachsen Wurzeln kreisförmig entlang der Containerwand (Kreiswuchs). Zusätzlich verhindern die langen Kulturzeiten (> 4 Jahre) in den (Unterlagen-) Baumschulen unter konstanten optimalen Wasser- und Nährstoffgaben eine epigenetische Anpassung der Obstbäume an ihre Zielstandorte. Denn diese Zielstandorte zeichnen sich eben meist nicht durch optimale Standortbedingungen aus. Ihre Fähigkeit zur standörtlichen epigenetischen Anpassung in der ganz frühen Entwicklungsphase ist nur noch sehr gering, die Resilienz nimmt dadurch stark ab, das mögliche starke Wachstum und ein hohes Alter sind nicht mehr möglich.
Ammenbaumpflanzungen
Zusätzliche Ammenbaumpflanzungen, am besten mit Bäumen, an deren Wurzeln Stickstoff gebildet wird, binden diesen Hauptnährstoff und bedingen eine schnellere Anbindung der jungen Obstbäume an ein Mykorrhiza Netzwerk. Mithilfe ihrer Leitungsbahnen tauschen sie mit den Jungbäumen Kohlenhydrate, Wasser und Nährstoffe aus, um ihr Wachstum und Überleben zu sichern (8; 9). Gerade in Trockenzeiten, und diese werden mehr und länger, sind Pflanzen mit einer guten Mykorrhiza-Symbiose widerstandsfähiger.
Epigenetische Anpassung
Ein weiterer bislang wenig erforschter Aspekt ist eine frühe epigenetische Anpassung z.B. der Streuobstbäume an ihrem Ziel-Standort. Epigenetische Anpassungen sind im Gegensatz zur genetischen Evolution schneller und flexibler. Damit reagieren Bäume auf Umweltveränderungen.
Stärkung des Wurzelsystems
Im Zuge des Klimawandels mit immer variablen Niederschlagsmustern rückt ein gut entwickeltes Wurzelsystem zunehmend in den Fokus. In diesem Kontext werden seit einigen Jahren (wieder) vermehrt Themen diskutiert, wie
- wurzelechte Bäume (bspw. 4; 5),
- Aussaat und Veredlung vor Ort (6),
Die generative Vermehrung von Kernobst ist oft problematisch, da Nachkommen genetisch stark vom Mutterbaum abweichen können. Diese Vermehrungsform wird deshalb sehr selten angewendet. Alternativ können zur Herstellung wurzelechter Bäume verschiedene autovegetative Vermehrungsmethoden angewandt werden. Zu ihnen zählen:
- Einhügeln der Veredelungsstelle, wobei der veredelte Teil wurzelt und die Unterlage mit der Zeit abstößt.
- Bewurzelung von bodennahen Sprossteilen durch Anhäufeln mit Kompost.
- Abmoosen, bei dem Rinde + Kambium an einem einjährigen Trieb entfernt und mit feuchtem Substrat ummantelt wird. Als Substrat kann bspw. feuchtes Moos oder magere Erde verwendet werden.
- Ammenwurzel-Stecklinge, bei denen Stecklinge an wurzelechten Unterlagen bewurzelt werden.
- Wurzelstecklinge aus jungen Wurzeln, die neu verpflanzt werden.
- Stecklinge aus einjährigen Trieben, die in Kompost-Mist-Gemisch gesteckt werden.
- Vermehrung durch Abriss: Rückschnitt der Mutterpflanze im Winter zur Bildung wurzelnder Triebe im Frühjahr.
Eine früher häufig genutzte Methode zur Gewinnung hochwertiger Unterlagen ist die Anzucht von Wildlingen aus dem Holzapfel (“Malus sylvestris”) oder starkwüchsigen Apfelsorten wie BITTENFELDER, GRAHAMS JUBILÄUM oder ANTONOWKA. Diese Sämlinge zeichnen sich durch eine späte Ertragsphase (7–10 Jahre), aber eine lange Lebensdauer von bis zu 130 Jahren aus und sind widerstandsfähig gegen Schädlinge. Aufgrund ihrer Starkwüchsigkeit entwickeln ihre Wurzeln Zugang zu tiefen Wasser- und Nährstoffquellen, was die Anpassungsfähigkeit an Standortbedingungen fördert. Das traditionelle Verfahren der Saatbett-Anzucht umfasst das Ausbringen der Samen nach Überwinterung in kompostierten, gelockerten Beeten und die sorgfältige Pflege zur Förderung der Keimung. Studien zeigen, dass direkt gesäte Sämlinge im Vergleich zu Baumschulpflanzen besser und schneller wachsen, da ihre Wurzeln ungestört tief wachsen können (Wilfling). Die Veredelung erfolgt am Zielort meist in Bodennähe oder in höherer Stammhöhe, wobei die Wahl der Veredelungsstelle Einfluss auf die Robustheit und Geschmackseigenschaften der Bäume hat. Die Anzuchtmethoden eignen sich neben Äpfeln auch für Quitten und Birnen sowie für Steinobst über Wurzelschösslinge.
Affolter-Methode
„Affolter“ – althochdeutsch für Apfelbaum (10) - sind kleine Apfel- oder Birnenwäldchen, in denen Sämlinge gemeinsam mit 8–12 Begleitpflanzen aufwachsen. Dazu wird eine 1,25 m² große Fläche mit ca. 8 bis 12 weiteren Begleitpflanzen bestockt. Zusätzlich werden wasser- und nährstoffspeichernde Elemente wie fragmentiertes Zweigholz und Laub in die Fläche eingebracht. Mit den Jahren, wenn die Ziel-Bäume größer werden, wechselt das „Mikrowäldchen“ zu solitär stehenden Bäumen, indem wie im Forst überzählige Bäume herausgepflegt, d. h. entnommen werden.
Air-Pruning-Verfahren
Das Air-Pruning-Verfahren ist eine Technik, die das Wurzelsystem von Keimlingen bzw. Sämlingen optimiert. Es basiert auf der natürlichen Reaktion der Wurzeln im Kontakt mit Luft. Air-Pruning-Töpfe haben deshalb Löcher in den Seitenwänden und Pflanzpatronen bestehen aus einem abbaubaren Netz. Die Wurzeln wachsen so lange bis sie Kontakt mit der Luft erfahren. Dann trocknen die Wurzelspitzen leicht an und das Wurzelwachstum stagniert an dieser Stelle. Gleichzeitig wird dadurch die Bildung neuer Seitenwurzeln weiter oben angeregt. Das Wurzelsystem wird dichter und stärker. Weiterhin kommt es zu keinem Drehwuchs der Fein- und/ oder Pfahlwurzeln in den Pflanzbehältern. Nach Verpflanzung der Bäume aus Pflanzpatronen oder Air-Pruning-Töpfen an den finalen Standort wachsen die leicht angetrockneten Wurzeln, v. a. die Pfahlwurzel weiter (7).
Aktuelle Forschungsprojekte
Im Rahmen des praxisorientierten Forschungsprojektes “Klimafitte Anzuchts- und Etablierungsverfahren für den Streuobstbau” (Laufzeit 06/2025 - 12/2027) werden potenzielle Unterlagen für Apfel- und Birnen sowie alternative Pflanzverfahren erprobt. Das Projekt wird vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg finanziert und federführend von der Arbeitsgemeinschaft Wurzel des Deutschen Pomologen Vereins e.V. geführt (Ansprechpartner/in Dr. Janet Maringer und Christoph Schulz, fp-wurzel@pomologen-verein.de). Zu folgenden Schwerpunkten werden Erkenntnisse gesammelt.
- Alternative Unterlagen für Birnen und Äpfel, recherchiert in historischer Literatur. Ziel ist, Empfehlungen zu Unterlagen für eine heutige standortgerechte Auswahl nutzbar zu machen.
- In der Praxis werden jeweils drei Birnen- und Apfelsorten als Unterlage in einem neuen Aufzuchts- und Pflanzverfahren getestet. Neu am Anzuchtsverfahren ist, dass die Samen in Pflanzpatronen nach der Air-Pruning Methode aufgezogen werden. Circa drei bis vier Monate nach der Keimung werden die Sämlinge in „Affolter“ gepflanzt. Eine Pflanzung in einem sehr jungen Stadium soll das natürliche Wurzelwachstum ausnutzen und zu einer epigenetischen Anpassung beitragen. Die Pflanzung erfolgt in sogenannten Affoltern.
Das zweite Forschungsprojekt “Klimafitte Unterlagen für den Streuobstbau – APP-gestützte Begleitung von Freiland-Tests” (Laufzeit 10/2025- 12/ 2029), welches ebenfalls federführend von der AG Wurzel des Deutschen Pomologen Vereins e.V. durchgeführt wird (Ansprechpartner/in Dr. Janet Maringer und Christoph Schulz, fp-wurzel@pomologen-verein.de), hat zum Ziel, unter Einbindung praxisnaher und digital unterstützter Beobachtungsdaten mittelfristig verlässliche Aussagen zur Eignung unterschiedlicher Wurzelunterlagen für den Streuobstanbau unter sich wandelnden klimatischen Bedingungen zu treffen. Gleichzeitig soll durch die partizipative Einbindung und digitale Unterstützung der Akteure ein dauerhafter Beitrag zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Streuobstkultur geleistet werden. In diesem Projekt werden aktiv (Unterlagen-)Baumschulen und Praktiker eingebunden.
Einzelnachweise
1. Dahlem, R., Dehe, M., Engler, C., Fix, K., Hagebölling, R., & Hein, K. (2002). Streuobstwiesen: Ökologische Bedeutung, Pflege, Nutzung, Förderprogramm (3. Aufl.). Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz (LfUG).
2. Landschaftspflegeverband Aschaffenburg e. V. (Hrsg.). (2011). Pflanzung und Pflege von Streuobstbäumen: Naturgemäßer Obstbaumschnitt für die Praxis.
3. Siegele, A. (2023, 13. Mai). Praxisnahe Maßnahmen zur Verminderung von Trockenstress [Vortrag]. 17. Landesweiter Streuobsttag Baden-Württemberg, Hochstamm Deutschland & Ministerium für Ländlichen Raum, Stuttgart, Deutschland.
4. Corbett, P. (2007). Fruit trees on their own roots and the coppice orchard system [Video]. YouTube. Abgerufen am 17. Juni 2024, von https://www.youtube.com/watch?v=YjSiQSfBlsE
5. Kleinz, N., & Weinrich, C. (2016). Ur-Obst: Wurzelecht und pflegeleicht – 200 Sorten, gesund und aromatisch! (1. Aufl.). Leopold Stocker Verlag.
6. Wilfling, A., & Braun-Stehlik, M. (2024, 13. Februar). Sämlingsvermehrung & Direktsaat – Herstellung von klimafitten Unterlagen für den Hochstamm-Streuobstbau. EIP-AGRI-Projekt SUPERHOCHSTÄMME – Klimaresiliente Mehrnutzen-Hochstamm-Produktionssysteme (M-HPS) für eine zukunftsfähige Bewirtschaftung im Obstbau [Online-Vortrag]. Obstbaumschnittschule. Abgerufen am 17. August 2024, von https://www.obstbaumschnittschule.de/kurs/webseminar-saemlingsvermehrung-direktsaat-herstellung-von-klimafitten-unterlagen-fuer-den-hochstamm-streuobstbau-2024/
7. Miller, B., & Bassuk, N. (2018). The effects of air-root pruning on seedlings of species with taproots. In Proceedings of the International Plant Propagators’ Society (Vol. 68). Abgerufen am 17. August 2024, von https://www.researchgate.net/publication/334615579_The_Effects_of_Air-Root_Pruning_on_Seedlings_of_Species_with_Taproots
8. Simard, S. W., Perry, D. A., Jones, M. D., Myrold, D. D., Durall, D. M., & Molina, R. (1997). Net transfer of carbon between ectomycorrhizal tree species in the field. Nature, 388(6642), 579–582. https://doi.org/10.1038/41557
9. Klein, T., Siegwolf, R. T. W., & Körner, C. (2016). Belowground carbon trade among tall trees in a temperate forest. Science, 352(6283), 342–344. https://doi.org/10.1126/science.aad6188
10. Der Wildapfel (o. J.). Abgerufen am 7. Oktober 2025, von https://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/baeume-und-waldpflanzen/laubbaeume/wildapfel-malus-sylvestris